Alle lebendigen Sprachen verändern sich. Wortschatz, Grammatik, Schreibweisen – das alles ist im täglichen Gebrauch verschiedenen Einflüssen ausgesetzt und verändert sich. Seien es aus anderen Sprachen übernommene Worte, aus der Mode kommende grammatikalische Regeln oder neue Rechtschreibungen. Bei weniger gesprochenen Sprachen kommen allerdings noch andere Faktoren hinzu. Hier gibt es einen mehr oder weniger direkten Druck durch die umgebenden größeren Sprachen (in der Lausitz durch die deutsche Sprache) und die Tendenz, für immer mehr Zwecke und immer öfter die “starke” Sprache zu benutzen. Damit verliert sich die “schwache” Sprache langsam. Erst ist es zu umständlich, die “schwache” Sprache zu benutzen, dann weiß man nicht mehr, wie man etwas in ihr ausdrücken kann und am Ende wird sie gar nicht mehr gesprochen. Ein Großteil der Sprachen auf der Welt macht diese Prozesse durch. Von den derzeit rund 6.000 Sprachen weltweit stirbt alle ein bis zwei Wochen eine aus. Damit geht ein Teil des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit, eine Ausdrucksform von Identität, Kultur, Heimat und auch Geschichte unwiederbringlich verloren.
Die Grenze zwischen normalen, lebendigen Sprachveränderungen und einem existenzbedrohenden Sprachverlust ist die sogenannte stabile Zweisprachigkeit. Das heißt, auch die “schwache” Sprache benötigt ihre Räume und ihre Funktionen, in denen sie „stark“ sein kann. Wenn sie in allen Bereichen mit der “starken” Sprache konkurrieren muss, wird sie auf die Dauer verlieren. Solche Prozesse sind nicht naturgegeben, und wir können ihnen gezielt entgegenwirken. In der Wissenschaft gibt es dafür verschiedene Konzepte und Begriffe.
Eine Variante ist, beim normalen Sprachwandel der lebendigen Sprachen von “Spracherhalt” zu sprechen. “Revitalisierung”, d. h. Wiederbelebung, meint hingegen Versuche, das Sterben einer Sprache aufzuhalten, die gesellschaftliche Präsenz einer gefährdeten Sprache zu erhalten und zu erhöhen und letztlich eine stabile individuelle wie gesellschaftliche Zweisprachigkeit zu erreichen. Beim Niedersorbischen geht es also nicht mehr nur darum, die Sprache zu erhalten, sondern um ihre Wiederbelebung („Revitalisierung“) und Weiterentwicklung. Viele Leute und Institutionen sagen, dass wir unsere Sprache revitalisieren wollen. Allerdings ist der Begriff nicht eindeutig. Deshalb werden wir darüber sprechen müssen, was genau wir mit einer „Revitalisierung der niedersorbischen Sprache“ meinen und welche Ziele wir wie erreichen wollen.